Der unaufhaltsame Wandel des Individualverkehrs hin zur Elektromobilität hat insbesondere beim Tankvorgang einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel verursacht. Während Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ausschließlich an Tankstellen mit Energie versorgt werden, macht der Elektroantrieb das dezentrale Laden möglich – auch zuhause, am Arbeitsplatz und faktisch an jeder Straßenecke. Das neue Betankungskonzept hat allerdings Licht- und Schattenseiten. Die Graphen-Technologie könnte hier eine neue Perspektive eröffnen.
Bisherige Neuentwicklungen bei den Ladetechnologien optimieren jeweils eines von zwei entscheidenden Kriterien: entweder die Reichweite oder die Ladedauer. Auf Graphen basierende Akkus haben das Potenzial zur Quadratur des Kreises: Sie weisen bei sehr hohen Reichweiten extrem kurze Ladezeiten auf – teilweise sogar geringere als beim herkömmlichen Tanken von Benzin oder Diesel. Das wird sich unmittelbar auf die Art und Weise auswirken, wie wir in Zukunft E-Autos laden.
Graphen: Stein der Weisen in der Batterietechnik
Unterschiedliche Konzepte, Graphen in Batterie-Speicherzellen mit anderen Verfahren wie die Lithium-Ionen-Technologie zu kombinieren, führen alle zum gleichen Ergebnis, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung: höhere Reichweite, längere Lebensdauer und kürzere Ladezeiten.
Eines der fortgeschrittensten Verfahren in der Graphen-Technik ist das Projekt SuperBattery des deutsch-estnischen Unternehmens Skeleton Technologies, das in Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie ins Leben gerufen wurde – einer der größten Forschungs- und Bildungseinrichtungen in Deutschland.
Die Besonderheit der Skeleton-Technologie ist das Curved Graphene-Kohlenstoffmaterial, dass sich zur Herstellung von Superkondensatoren für Lithium-Ionen-Akkus eignet. Die damit möglichen Leistungssteigerungen sind dramatisch: Ein auf Graphen basierender Akku lässt sich in rund 15 Sekunden vollständig laden. Nicht weniger beeindruckend ist die Lebensdauer: Sie erlaubt buchstäblich Hunderttausende von Ladezyklen.
Dass die SuperBattery weit mehr ist als ein reines Forschungsprojekt, beweist das Interesse aus der Automobilindustrie. Letztens hat Skeleton Technologies mit einem führenden Automobilhersteller eine gemeinsame Absichtserklärung über ein Volumen von einer Milliarde Euro unterzeichnet, mit dem Ziel, die Technologie zur Marktreife zu entwickeln.
Ende der Reichweitenangst
Graphen-Batterien beseitigen ein grundsätzliches Problem bei der Elektromobilität: die Ungewissheit, ob auf dem Weg zum Ziel Möglichkeiten zum Nachladen bestehen, und das in einem vertretbaren Zeitrahmen.
Zu den Haupthindernissen für die massenhafte Verbreitung von E-Verkehr gehören insbesondere die noch unzureichende Dichte bei der Ladeinfrastruktur und die Ladezeiten, die besonders auf Fernstrecken zu massiven Verzögerungen bei den Reisezeiten führen. Das macht das Elektroauto insbesondere für die berufliche Verwendung oft ungeeignet.
So lange bestehende Batterietechnologien Ladezeiten zwischen 15 und 30 Minuten für eine Aufladung von höchstens 80 Prozent erfordern, lässt sich das grundsätzliche Produktversprechen des Automobils nicht verlustfrei umsetzen: überall hingelangen, ohne für Tankvorgänge vor, während oder nach der Reise zusätzliche Zeitfenster einplanen zu müssen.
Besonders die Integration in den beruflichen Alltag lässt sich auf diesem Weg vielfach nicht praxisnah gestalten. Auch die Routenplanung für längere Strecken – ob zu beruflichen Zwecken oder für den Urlaub – leidet unter den Unwägbarkeiten und Verzögerungen, die durch das Laden des Akkus entstehen.
Die Graphen-Technologie könnte sich hier als fundamentaler Gamechanger erweisen. Ladezeiten von unter einer Minute machen das Geschäftsmodell Ladestation auch wieder für Tankstellen lukrativ, die ohnehin nach einer Exit-Strategie für das anstehende Ende der fossilen Energieträger suchen – gemeinsam mit den Treibstoffherstellern.
Nicht grundlos entwickelt Aral derzeit ein vollautomatisches Schnellladesystem, das sich für den Einsatz in Tankstellen eignet. Setzt sich die Graphen-Technologie auf breiter Basis durch, besteht im Grunde kein existenzieller Bedarf mehr für den Ausbau eines flächendeckenden Ladepunktsystems. Die bereits bestehende Infrastruktur an herkömmlichen Tankstellen würde genügen, um die schnelle und unkomplizierte Versorgung mit Antriebsenergie zu bewältigen – möglicherweise sogar noch effizienter als das beim Tanken von Benzin und Diesel der Fall ist.