Bedeutung
Der sogenannte Zweitmarkt für Lebensversicherungen (LV) hat eine gewisse Relevanz auch in Deutschland erlangt. Allerdings soll es hier nicht um die deutschen LV gehen, sondern um deren Entsprechung in den USA.
In den USA hat der Zweitmarkt für LV Tradition. Dabei sind Renditen zwischen 12 % und 30% – je nach Gestaltung – realistisch. Eine Investition kann daher auch für europäische Anleger verlockend sein. Die Aufnahme solcher Investments ist auch für Mischfonds interessant. Allerdings bestehen einige erhebliche Unterschiede zu deutschen LV. Während es im deutschen Zweitmarkt im Wesentlichen um den Rückkaufswert der LV geht, handelt es sich beim Engagement in US – Policen um ein Investment, bei dem sich der Return nur dann einstellt, wenn die versicherte Person verstirbt.
Fragen der ethischen Vertretbarkeit sind nicht nur per se ein Thema, sondern spielen auch in dem Zusammenhang eine Rolle, ob und inwiefern ein Investment – Portfolio ein negatives ESG – Screening überstehen wird. Da ethische Gesichtspunkte künftig auch bei Kreditvergaben eine Rolle spielen könnten, kann dies auch für das Rating eines Portfolios relevant werden.
Schicksal und Statistik
Ein gewisses Unwohlsein drängt sich geradezu auf. Der Kauf einer solchen Police ist daher – wenn man so will – eine Wette auf den Zeitpunkt des Todeseintritts des Verkäufers. Diese Betrachtung als sittenwidrige Wette ist zumindest dann eine Kategorie, wenn die Betrachtung sehr grobkörnig ist, man also die einzelne Police betrachtet. Üblicherweise wird jedoch eine große Anzahl von Policen gebündelt, sodass das „Einzelschicksal“ in den Hintergrund tritt und sich der Return on Invest vom Einzelfall ablöst und „statistisch“ wird. Dadurch verliert die Transaktion ihren „Wettcharakter“, da man nicht mehr auf den Eintritt des Todesfalls „setzen“ muss, sondern die Rentabilität des Portfolios nicht mehr merklich vom Einzelfall abhängt
Wer sich jedoch einen gesunden Respekt vor Menschenschicksalen bewahrt hat, den beruhigt dieser doch recht technisch anmutende Gedanke allerdings vermutlich nicht restlos. Wenn man genauer darüber nachdenkt, kann es einem sogar als noch unheimlicher erscheinen. Das wird man an dieser Stelle argumentativ vermutlich auch nicht aus der Welt schaffen können.
Die Sicht des Versicherungsnehmers
Es gibt allerdings auch eine ganz andere Seite der Medaille – Die Sicht des Verkäufers der LV.
Bekannt wurden die Verkäufe von Lebensversicherungen, als AIDS noch als unheilbar galt und AIDS – Patienten ihre LV verkauften, um sich eine bessere medizinische Versorgung oder auch „nur“ ein angenehmeres Leben zu gönnen.
Dazu muss man wissen: In den USA verfällt die Lebensversicherung fast vollständig (u.U. bis auf einen kleinen sog. surrender value), wenn sie nicht bedient wird, d.h. die Versicherung behält die bezahlten Prämien, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen, dies sind in den USA 900 Milliarden (!) Dollar jährlich, die Versicherungsnehmern entgehen. In diesen Fällen ist jeder maßgebliche Betrag für jemanden, der die Raten nicht weiter bezahlen kann oder will, ein Gewinn. Die Raten werden dann von dem Käufer des Versicherungsvertrags weitergezahlt.
Überdies ist es so, dass die Mehrheit der Lebensversicherungsverträge gar nicht zur Auszahlung kommt, weit über 50% der Versicherungsverträge in den USA fallen aufgrund der Nichtzahlung von Prämien aus – ein geradezu traumhaftes Geschäft für die Versicherer. Erstaunlicherweise werden an dieser Stelle keine Fragen gestellt, was die ethische Dimension der Verträge betrifft.
Eine Risikolebensversicherung kann aus verschiedenen Gründen obsolet sein – die Kinder, die abgesichert sein sollten, stehen auf eigenen Füßen, die Ehefrau ist nicht mehr vorhanden.
Auf der anderen Seite stehen drängende Geldbedarfe der Policeninhaber – sei es, dass Geld für medizinische Behandlung dringend benötigt wird oder die Beiträge schlicht nicht bedient werden können.
Dieses Geschäftsmodell generell abzulehnen, wirft daher wiederum ethische Fragen auf ; denn: wenn ich den Verkauf einer Police erschwere, dessen Erlös zu einer lebensrettenden Behandlung führen kann, hat man einen größeren Schaden verursacht, als wenn man lediglich von einem ohnehin eintretenden Todesfall profitiert. Man hätte dann zwar einen sittlich fragwürdigen Profit verhindert, aber man hätte dadurch einen Tod verursacht, der sonst nicht eingetreten wäre. Das ist in der Güterabwägung kein sinnvolles Ergebnis.
Schließlich sollte man sich vor Augen führen, dass das Geschäft mit Risikolebensversicherungen ohnehin von vornherein als eine Wette auf die künftige Lebensdauer und damit direkt oder Indirekt auf den Tod des VN ausgelegt ist. Alle Versicherungen arbeiten mit sogenannten Sterbetafeln, um anhand dieser Tabellen Prämien und sonstige Bedingungen von Versicherungen zu bestimmen, übrigens nicht nur von Lebens- sondern auch von Rentenversicherungsverträgen. Technisch gesehen wettet hier der Versicherungsnehmer gegen den Versicherer, wobei der Versicherer – jetzt wiederum untechnisch gesprochen – „hofft“ oder „darauf wettet“, dass der Versichungsnehmer nicht länger lebt, als statistisch wahrscheinlich. Die Versicherungsmathematik spricht hier recht nüchtern vom „Langlebigkeitsrisiko“.
Das ist beiden Seiten auch von vornherein bewusst, dennoch gehen beide Seiten darauf ein, weil jeweils ein Bedarf gedeckt wird und die Position beider Parteien von berechtigtem Interesse getragen ist. Dem Versicherungsnehmer ist insbesondere klar, dass die Versicherung ihr Risiko kalkulieren muss, wenn er eine Absicherung seiner Familie im Todesfall erreichen will.
Lösung durch praktische Konkordanz der Interessen
Während der Markt in den USA in den meisten Bundesstaaten hochreguliert ist und man davon ausgehen kann, dass hier Best Practice Standards systemintegriert, die Vertragswerke standardisiert und die Verkäufer damit einigermaßen geschützt sind, ist dies in Europa nicht der Fall.
Wenn man die höchsten ethischen Ansprüche anlegen möchte, sollte man das aus der Sicht dessen beurteilen, der in dieser Konstellation am vulnerabelsten ist – und nein, das ist nicht das eigene sittliche Feingefühl. Das ist das Wohl dessen, der sich in einer Lebenssituation befindet, die Police verkaufen zu müssen.
Danach muss klar sein, dass einem solchen Verbraucher grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet ist, seine Police zu verkaufen. Dies respektiert seine Entscheidungsfreiheit und ermöglicht ihm die Wahrung wichtiger, nicht nur wirtschaftlicher Interessen.
Dies vorausgesetzt, ist es nach der hier vertretenen Auffassung erforderlich, dass der Versicherungsnehmer belehrt und unterrichtet wird über
- die Alternativen zu einem Verkauf einer Police, insbesondere
- Beleihung der Police
- Verhandlung mit der Versicherung über eine Teilauszahlung (reduziert)
- Eine vorgezogene Leistung unter Anzügen im Fall einer bereits eingetretenen tödlichen Erkrankung
- Die Übernahme der Beiträge durch Dritte z. B. die begünstigten Personen
- Absenkung der Überlebensleistung gegen Reduzierung der Beiträge
- die Berechnung und die Ratio hinter dem Kaufpreis, um eine Übervorteilung zu verhindern
- eventuell die Zustimmung oder zumindest Unterrichtung der Begünstigten
- den Verbleib der erhobenen Gesundheitsdaten.
Auch und gerade in einem unregulierten Bereich sollte der Investor im Eigeninteresse sicherstellen, dass diese Anforderungen eingehalten und dokumentiert werden.
„Die Heuchler aber…“
Einige Ankäufer verzichten aus angeblich ethischen Grünen auf den Ankauf von Policen von Menschen mit einer tödlichen Krankheit („people suffering from a terminal illness“). Eine zweifelhafte Entscheidung, wenn man bedenkt, dass gerade diese Menschen die Liquidität oft am nötigsten haben. Fraglich ist auch, ob der Anspruch, „nur von wohlhabenden Personen mit hoher Lebenserwartung“ zu kaufen, womit Marktteilnehmer werben, ethisch motiviert ist; vielmehr haben diese Verkäufer die höheren Auszahlungsbeträge, womit die Stückkosten durch den im Verhältnis kleineren Prüfungsaufwand pro Vertrag geringer ausfallen.
Facit: die Investition in Life Insurance Settlements ist ethisch nicht zu beanstanden, wenn es sich um ein Geschäft mit einem voll informierten, erwachsenen und geschäftsfähigen Verbraucher handelt und bei diesem weder eine Zwangslage noch dessen Unerfahrenheit ausgenutzt wird und dieser hinreichend über Alternativen belehrt ist.
Wünschenswert freilich wäre eine Regulierung dieses Bereichs.
Dr. Gero Kollmer, MBA
Über Dr. Gero Kollmer
Dr. Gero Kollmer ist Rechtsanwalt, Geschäftsführer sowie Vorstand und begann die Berufstätigkeit als Rechtsanwalt im Jahr 1999. Dr. Kollmer führt sowohl den Fachanwaltstitel für Bank- als auch Kapitalmarktrecht und ist als Einzelanwalt tätig. Außerdem berät Dr. Gero Kollmer Unternehmen in Bezug auf M&A-Projekte.
Einzelnachweise
https://www.wealthadviser.co/2020/11/09/291934/ethics-and-sustainability-life-settlements
https://nordsip.com/2016/12/08/when-returns-are-a-question-of-life-and-death/
https://www.journalofaccountancy.com/issues/2008/jun/virtuesandevilsoflifesettlement.html
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Managerblatt Profil von Dr. Gero Kollmer
Interview mit Dr. Gero Kollmer
Gastbeitrag von Dr. Gero Kollmer auf EuroLeaders
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