Die letzten Jahre waren von einem historischen Momentum für Nachhaltigkeit geprägt – ESG-Kriterien wurden in den Vorstandsetagen großer Unternehmen fast zur Selbstverständlichkeit. Doch inzwischen erleben wir eine abrupte Wende. Der sogenannte „Nachhaltigkeits-Rückzug“ greift um sich, besonders getrieben von einem zunehmend erbittert geführten Kulturkampf in den Vereinigten Staaten. Was einst als moralische Pflicht und strategischer Wettbewerbsvorteil galt, wird nun als ideologisch aufgeheiztes Terrain betrachtet. Die Rhetorik von Donald Trump – mit seinem populistischen „Drill, baby, drill!“-Slogan – wirkt dabei wie ein Katalysator. In einem politischen Klima, das alles „Woke“ mit Misstrauen betrachtet, geraten selbst moderate ESG-Initiativen unter Beschuss. Die Verunsicherung ist groß, der Druck aus den USA enorm – und die Reaktion vieler Akteure: Rückzug.
Immer mehr Unternehmen und Finanzinstitute, die sich noch vor wenigen Jahren öffentlich zu ambitionierten Klimazielen oder Diversitätsquoten bekannten, kehren diesen nun den Rücken – allerdings oft still und leise. Ohne großes Aufsehen verschwinden ESG-Versprechen aus Unternehmenswebseiten, Klima-Allianzen lösen sich auf oder werden ohne Begründung verlassen. Dieser Rückzug erfolgt nicht aus mangelnder Überzeugung, sondern aus Furcht vor politischen Repressalien, Klagedrohungen oder schlichtweg Reputationsrisiken in einem polarisierten Marktumfeld. Insbesondere in den USA haben ESG-Investments eine neue Frontlinie in einem ideologischen Krieg markiert – und Europa bleibt davon nicht unberührt. Der Druck, sich von diesen Werten zu distanzieren, schwappt über den Atlantik und führt dazu, dass auch hierzulande Zurückhaltung einkehrt.
Während die öffentliche ESG-Rhetorik abnimmt, verschiebt sich das tatsächliche Handeln in eine ganz andere Richtung – und zwar oft zurück zu alten Geschäftsmodellen. Die größten Banken der Welt erhöhen ihre Finanzierungsvolumina für fossile Energien signifikant. Investitionen in Öl, Gas und Kohle steigen wieder, oft mit der Begründung geopolitischer Unsicherheiten oder angeblich notwendiger Energiesouveränität. Die fossile Lobby hat das Momentum auf ihrer Seite zurückerobert. Nachhaltigkeit ist längst kein Selbstläufer mehr. Der moralische Anspruch ist der ökonomischen Opportunität gewichen. Was zählt, ist wieder kurzfristige Rendite – nicht langfristige Verantwortung.
Gleichzeitig gewinnt eine Diskussion an Tempo, die noch vor Kurzem als absurde Randnotiz gegolten hätte: die Integration der Rüstungsindustrie in „grüne“ Investmentfonds. Argumentiert wird mit sicherheitspolitischer Stabilität und Verteidigungsfähigkeit, was Investitionen in Panzer und Raketen plötzlich als Beitrag zum Gemeinwohl erscheinen lässt. Dieser rhetorische Dreh ist Ausdruck einer tiefen Umdeutung dessen, was unter Nachhaltigkeit verstanden wird. In einem Klima der Unsicherheit und politischen Polarisierung droht ESG von einem Leitbild zur leeren Worthülse zu verkommen – oder schlimmer noch: zum Werkzeug für das exakte Gegenteil dessen, was es einst versprach. Was bleibt, ist ein wachsendes Misstrauen gegenüber dem ehrlichen Willen zur Transformation – und die ernüchternde Erkenntnis, dass der Pfad der Nachhaltigkeit keineswegs unumkehrbar ist.