Dr. Katja Bär ist nicht nur die Gründerin und Geschäftsführerin von FOB, einem unabhängigen Multi-Family-Office für Vermögensstrategien und Controlling, sondern auch Vorstand der Hans und Ilse Breuer-Stiftung. Diese fördert vor allem die Unterstützung der Erforschung von Demenz und ähnlichen neurodegenerativen Erkrankungen.
Daneben setzt sich die gebürtige Stuttgarterin auch privat stark für die Rolle von Kindern sowie deren Rechte an Mitsprache und Beteiligung ein, vor allem in Form sogenannter Kinderbeiräte in gemeinnützigen Organisationen. Kinderbeiräte sind freiwillige Organe, können formal jedoch über die analoge Anwendung des Kinder- und Jugendhilfegesetz des Bundes legitimiert werden, das in §1 ausdrücklich ein jugendpolitisches Mandat für die Kinder- und Jugendhilfe beinhaltet, wenn festgelegt wird, dass Jugendhilfe dazu beitragen soll, „positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu schaffen“ sowie die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern.
Wir reden im Interview mit Dr. Katja Bär über die Bedeutung solcher Kinderbeiräte, die Chancen und Möglichkeiten der Mitspracherechte des Nachwuchses in Deutschland und warum man, wie schon 1986 Herbert Grönemeyer in seinem gleichnamigen Song forderte, Kinder an die Macht lassen sollte.
Frau Dr. Bär, erst einmal vielen Dank, dass sie sich die Zeit für ein Interview mit uns genommen haben.
Sie setzen sich stark für sogenannte Kinderbeiräte ein, besonders im Kontext von Stiftungen – was sich ja mit ihrer Tätigkeit als Vorstand der Hans und Ilse Breuer-Stiftung deckt. Was genau ist ihnen am Prinzip eines Kinderbeirats denn so wichtig?
Dr. Katja Bär: Sehr vieles. Aber zusammengefasst lässt sich sagen, dass es mir sehr viel bedeutet, Kindern eine deutlich wahrnehmbare Stimme geben zu wollen und ihre Wünsche, Ideen sowie Erfahrungen trotz ihres jungen Alters ernst zu nehmen. Ich traue ihnen definitiv zu, gerade im organisierten Kontext eines Kinderbeirates Entscheidungen treffen zu wollen und auch zu können, welche sich in Zukunft positiv auf die Entwicklung einer Stiftung auswirken.
Mit einem aktiven Kinderbeirat kann eine Stiftung zudem auch ihre Intention zeigen, schon heute kommende Generationen von vornherein nicht nur zu berücksichtigen, sondern auch aktiv integrieren zu wollen. So können künftige Entwicklungen einer solchen Stiftung schon möglichst früh äußerst positiv beeinflusst werden.
In unserer Wahrnehmung gibt es weitaus mehr Stiftungen und Förderprogramme, die sich konkret für Kinder und Jugendliche einsetzen als jene, bei denen sie auch klare Mitspracherechte haben und aktiv mitbestimmen können. Teilen sie diese Beobachtung?
Dr. Katja Bär: Durchaus. Die Situation bessert sich zwar seit einigen Jahren, aber Recherchen und Studien aus den 2010ern haben uns gezeigt, dass es in diesem Punkt nach wie vor sehr viel Luft nach oben gibt. Was mehr und mehr zur Norm werden sollte, ist an vielen Stellen in Deutschland, ob nun in Stiftungen oder auch in der Kommunalpolitik, oftmals leider noch eine Ausnahme.
Warum genau sollte die bessere Integration von Kindern und eine Stärkung ihrer aktiven Mitbestimmungsrechte denn zur Norm werden?
Dr. Katja Bär: Unsere Gesellschaft steht zukünftig vor zahlreichen und überaus diversen Herausforderungen. Neben den Themen Nachhaltigkeit oder Digitalisierung spielt auch der demographische Wandel eine wichtige Rolle.
Mit mehr älteren Menschen in der Gesellschaft und damit auch in bedeutenden politischen Positionen werden sie häufig wichtige Entscheidungen zwangsläufig eher zu ihren eigenen Gunsten treffen und nicht mit Fokus auf eine neue, junge Generation. Mit Kinderbeiräten können wir damit, nicht nur in Stiftungen, die Generationengerechtigkeit zukünftig wieder mehr ins Gleichgewicht rücken.
Handelt es sich bei diesem, um es vorsichtig zu formulieren, „Ausblenden“ von Kindern und deren Wünschen ihrer Meinung nach eher um ein deutsches oder ein allgemeines, globales Problem?
Dr. Katja Bär: Ich habe den Eindruck, dass das kein speziell deutsches Phänomen ist, obwohl man den Deutschen im Klischee ja gerne mal eine starke Abneigung gegenüber der Mitsprache von Kindern und Jugendlichen nachsagt. Bei unseren europäischen Nachbarn sehe ich ebenfalls noch viele ungenutzte Potenziale, ob nun in Vereinen, Stiftungen oder auf kommunalpolitischer Ebene.
Großbritannien steht, um ein positives Beispiel zu nennen, in dieser Hinsicht seit Jahren allerdings wesentlich besser dar. Ich vermute, dass sich das Vereinigte Königreich in der Vergangenheit stärker an den USA und Kanada orientiert und sich da einiges abgeschaut hat. In Nordamerika wurden etwa Philanthropie- und Förderprogramme für die Mitsprache- und Einflussrechte von Kindern und Jugendlichen wesentlich früher und intensiver durchgeführt als im Großteil Europas.
Wo liegen ihrer Meinung nach die größten Vorteile für Kinder, Teil von Kinderbeiräten zu werden und sich dort schon in jungen Jahren aktiv zu engagieren?
Dr. Katja Bär: Kinder können in solchen Kinderbeiräten schon früh wichtige Erfahrungen sammeln oder auch das eigene Selbstbewusstsein stärken, indem man ihnen bereits Vertrauen schenkt und einen Teil der Verantwortung überträgt.
Sie werden dabei auch geschult, die eigenen Interessen und Wünsche besser wahrzunehmen, formulieren zu können und sich auch aktiv für diese einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Dazu gehört es natürlich auch, Kompromisse zu finden und zu akzeptieren, so dass am Ende möglichst viele von einer Entscheidung profitieren können. Meiner Meinung nach müssen wir eine solche Entwicklung nicht einfach nur neugierig beobachten, sondern sie ernst nehmen, indem wir ihr auch Bedeutung und Einflussnahme zukommen lassen. Allein hier können wir noch viel lernen, nicht nur in Deutschland.
Wie könnte man diese Situation ihrer Meinung nach denn weiter verbessern und so auch die direkten Einflussmöglichkeiten von Kindern ausbauen und intensivieren?
Dr. Katja Bär: Immer wieder beobachte ich, dass Erwachsene – oder vielleicht auch wir als Gesellschaft – Kinder und Jugendliche unterschätzen. Auch ich habe erst durch den Hinweis einer Mandantin Mut gefasst und meine Kinder in Entscheidungen einbezogen. Ich vermute, dass wir unseren Kindern aus der eigenen Erfahrung heraus zu wenig zutrauen und uns hinter Vorurteilen verstecken, nur um sich nicht näher mit den individuellen Sorgen und Wünschen einer folgenden Generation beschäftigen zu müssen.
Die Welt, in der Kinder und Jugendliche aufwachsen, mag sich teilweise stark von der unserer Generation unterscheiden – und damit eben auch die gemachten Erfahrungen und Konsequenzen aus solchen. Das ist per se weder positiv noch negativ – man sollte diese „Andersartigkeit“, die abweichenden Erfahrungen dieser Zeit aber stets im Hinterkopf behalten und respektieren. Kinder und Teenager sind heutzutage entgegen anderslautenden Aussagen eben nicht grundsätzlich „dümmer, fauler und undisziplinierter“ als vorige Generationen, sondern einfach auf ihre Arten anders und auch einzigartig.
Also ist es wieder der altbekannte und seit jeher andauernde Generationenkonflikt, der uns zögern lässt, Kinder und Jugendliche früher und intensiver zu integrieren?
Dr. Katja Bär: Dieser Aspekt schwingt sicherlich bei nicht wenigen Menschen mit, zumindest unterbewusst. Vielleicht ist das wirklich eine Art Gefahr des Älterwerdens, dass man irgendwann die eigene Generation als „die letzte gute und vernünftige Generation“ bewertet und einer neuen damit automatisch skeptisch und eher pessimistisch gegenübersteht.
Grundsätzlich sollten wir Kindern aber schlichtweg mehr zutrauen. Meistens entfalten junge Menschen ihr Potenzial ja gerade dann, wenn man sie auch lässt, was wiederum auch zum Entdecken und Vertiefen der eigenen Interessen und Stärken führt.
Wir als erwachsener Teil der Gesellschaft sollten lernen, auch in Stiftungen, wie man „loslässt“ und dass man Kindern nicht nur mehr zutrauen, sondern eben auch vertrauen kann. Dazu gehört es eben auch, sie direkter und aktiver zu beteiligen und ihnen auch mehr konkretere Einflussmöglichkeiten zu geben. Das gilt auch für den gegenseitigen Austausch und die aktive Einflussnahme auf die Verteilung der finanziellen Mittel einer solchen Stiftung.
Denn letztlich haben Kinderbeiräte und die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen im Allgemeinen doch einen klar positiven Effekt auf die gesamte Gesellschaft, nicht nur eine individuelle Gruppe oder Stiftung. Durch den unverstellten und nicht von diversen Lobbys beeinflussten Blick auf gesellschaftliche Themen können hier die wirklichen Interessen und Wünsche einer neuen Generation transparent verdeutlicht und damit auch wesentlich besser organisiert und erfüllt werden.
Was würden sie ihrem Umfeld in Bezug auf Kinderbeiräte und eine stärkere generelle Integration und Kindern und Jugendlichen mit auf den Weg geben wollen?
Dr. Katja Bär: Traut Kindern und Jugendlichen mehr zu, ob nun in Beiräten, Vereinen oder ganz generell. Fragt sie nach ihren Erfahrungen, nach ihren Ideen und auch ihrer Kritik oder ihren Verbesserungsvorschlägen. Gerade Kinder gehen häufig wesentlich intuitiver und direkter vor als wir Erwachsene es oftmals tun, weil wir uns leider immer wieder von unseren negativen Erfahrungen oder gesellschaftlichen Erwartungshaltungen einschränken lassen – oftmals ohne uns dessen vollkommen bewusst zu sein.
Die Ideen, Meinungen und Vorschläge mehrerer Generationen sorgen eigentlich immer für eine größere Vielfalt, die sich in zahlreichen Fällen positiv auf die Situation aller auswirken kann. Dafür müssen wir diesen allerdings auch, wie schon erwähnt, mehr zutrauen, mehr Mitverantwortung übertragen und ihnen auch früher Beteiligungsmöglichkeiten zugestehen. Meiner Meinung nach können wir auf diesem Wege das Leben für uns als Gesellschaft und als Individuen deutlich verbessern – nicht nur zum Wohle unserer Kinder, sondern eben auch von uns allen.
Es wird immer wichtiger, dass wir, nicht nur in Stiftungen, junge Menschen dazu motivieren, eigene Ziele und Interessen zu formulieren, sich für diese langfristig einzusetzen und ihnen schon frühzeitig die Möglichkeiten geben, diese auch aktiv selbst beeinflussen und mitbestimmen zu können. Denn eine Stiftung sollte Kinder und Jugendliche eben nicht einfach nur berücksichtigen, sondern diese schon früh aktiv involvieren.
Wie könnte man das ihrer Erfahrung nach denn am besten umsetzen?
Dr. Katja Bär: Zunächst einmal braucht es dafür meiner Meinung nach eine deutliche Willensbekundung und klar definierte, transparente Prozesse, um Kinderbeiräte zu etablieren. Anschließend brauchen Kinder klare Aufgaben, Ziele und auch Regeln, um einen solchen Beirat im Einklang mit der Stiftung und deren Programm und Intentionen zu etablieren.
Dabei sollte man allerdings auch stets ein Gleichgewicht anstreben: Kinder sollten hier auf keinen Fall unterschätzt und bevormundet, allerdings auch nicht massiv überfordert werden. Man riskiert, dass sie ihre Motivation und ihren Enthusiasmus an aktiver Mitbestimmung verlieren, wenn man sie vorschnell mit zu vielen komplexen Details und eher theoretischen Wechselwirkungen erschlägt.
Hier gilt es, eine gesunde und rationale Balance zu finden, so dass Kinder und Jugendliche selbst ihr Interesse und ihre Potenziale nicht nur entdecken, sondern eben auch selbstständig entwickeln können. So werden sie zusammen mit den jeweiligen Stiftungen essenzielle Impulse setzen, um das Leben der Menschen und die Zukunft ihrer eigenen Generation schon frühzeitig positiv beeinflussen zu können.
Links und mehr Infos über Dr. Katja Bär
- FOB
- Die Hans und Ilse Breuer-Stiftung
- Profil von Dr. Katja Bär im Unternehmens-Wiki
- Profil von Dr. Katja Bär bei EverbodyWiki
- Profil von Dr. Katja Bär bei Kressköpfe
- Portrait von Dr. Katja Bär bei DienstleisterVerzeichnis
- Vorstellung von Dr. Katja Bär bei DAS MANAGERBLATT
- Katja Bär bei EURO-LEADERS
- EURO-LEADERS: Gastbeitrag zur Bedeutung von Kinderbeiräten
- tagesblog: Interview zu Demenz und neurodegenerative Erkrankungen