Die Bewertung nachhaltiger Investments krankt seit dem Aufkommen des grünen Anlagesektors an einer Begriffsverwirrung. Nachhaltigkeit hatte früher bei Investments eine andere Bedeutung als heute. So beurteilten Ratingagenturen Anlageprodukte als nachhaltig, wenn sie dauerhaft stabile Renditen erwirtschafteten – unabhängig von Branche und ethischem Gehalt. Der neue Nachhaltigkeitsbegriff stellt die Agenturen nicht selten vor massive Probleme. Und nicht jedes Bewertungsunternehmen hat die Herausforderung bereits bewältigt.
Nachhaltige Investments berücksichtigen heute andere Produkte als früher, insbesondere seit Aufkommen der ESG-Kriterien. Mittlerweile ist Nachhaltigkeit ein zentrales Verkaufsargument, doch der neue Kontext des Begriffs ist noch immer Anlass für Verwirrung und Unsicherheit. Hier können nur straff formulierte, verbindliche Standards weiterhelfen, am besten auf globaler Ebene, zumindest aber europaweit.
Der neue Nachhaltigkeitsbegriff setzt sich auf breiter Front durch
Dass mit nachhaltigen Investments heute Anlageprodukte gemeint sind, die auf ökologischem, sozialem und Compliance-bezogenem Gebiet überdurchschnittlichen Qualitätsansprüchen genügen, ist mittlerweile allgemein akzeptierte Tatsache. Wobei es noch hapert, ist die Klarheit darüber, was Nachhaltigkeit im ESG-Umfeld konkret bedeutet.
Im Grunde darf das nicht verwundern. Vieles, was Green Invest ausmacht, basiert auf ideologischen und ethischen Erwägungen. Daraus entwickelt sich in der allgemeinen Diskussion zunächst einmal ein diffuses Bild von Nachhaltigkeit. Schnell treffen unterschiedliche Lager aufeinander, die besonders im Grenzgebiet von Nachhaltigkeit und Ökologie unterschiedliche Auffassungen vertreten.
Ein typisches Beispiel ist die Kernkraft. Sind Atomkraftwerke nachhaltig oder nicht? Angesichts des bisher ungelösten Problems der Endlagerung strahlenden Abfalls und der Gefahr von Umweltkatastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima scheint die Antwort eindeutig: Atomkraft hat in einem nachhaltigen Anlageportfolio nichts zu suchen. Auf der anderen Seite erzeugt Strom aus Atomkraft keinerlei CO2-Emissionen und darf nach dieser Sichtweise als nachhaltige Energiequelle gelten. Was ist richtig?
Wie groß die Unsicherheit bei der Bewertung von Nachhaltigkeit ist, belegt die EU, die Atomkraft zumindest als Brückentechnologie als nachhaltig eingestuft hat. Und das ist erst der Anfang. Erste Stimmen werden laut, die Rüstungskonzerne angesichts des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine als nachhaltig einstufen wollen – angesichts ihrer Rolle als Wahrer von Freiheit und Demokratie. Ist das die Nachhaltigkeit, die im grünen Anlagebereich gemeint ist?
Nur verbindliche Standards schaffen ein stabiles Marktumfeld
Nachhaltigkeit im Sinne von Green Invest benötigt eine wissenschaftlich fundierte und unmissverständlich formulierte Richtschnur, die nicht nur den Sammelbegriff Nachhaltigkeit, sondern auch deren Abstufungen verbindlich festlegt. Insbesondere sind diese Fragen zu klären: Wo beginnt und endet ESG? Wo beginnt Impact Investing?
Das Pariser Klimaabkommen hat 2015 die Weichen gestellt und dabei dem Finanzsektor eine besondere Verantwortung zugeordnet. Er hat – nach offizieller Auffassung der Konferenzteilnehmer von 2015 – für das Erreichen der definierten Klimaziele den größten Lenkungseffekt. Das hat den heute prosperierenden Markt der grünen Anlageprodukte auf den Weg gebracht. Doch nun ist es höchste Zeit, aus der Goldgräberstimmung der Anfangsjahre in ein reguliertes und Sicherheit vermittelndes Marktumfeld zu wechseln. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Ratingagenturen zu – doch die müssen zunächst ihren eigenen Begriffswirrwarr bereinigen.
Was bei der Bewertung der reinen Rendite und Qualität von Anlageprodukten möglich ist, muss bald auch für den neuen Nachhaltigkeitsbegriff gelten. Dazu wird zuallererst eine allgemein gültige Festlegung des Begriffs an sich erforderlich sein. Ratingagenturen, die Anlageprodukte nur aufgrund ihrer wirtschaftlichen Performance als nachhaltig einstufen, haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Es gilt, eine neue Rating-Welt zu schaffen, einschließlich aller Kriterien, die ein Produkt umweltverträglich machen – ökologisch, sozial und ethisch. Und dass Kernkraft oder Rüstung nicht in eine Nachhaltigkeit bewertende Ratingkultur gehören, sollte im Rahmen der neuen Standards endgültig feststehen.