Samira Langer-Lorenzani ist eine Pädagogin mit Spezialisierung auf Traumapädagogik, Psychotraumatologie und traumazentrierte Fachberatung. Sie arbeitet interdisziplinär in der psychiatrischen Krisenintervention und setzt sich für die Förderung von Resilienz und die Integration traumasensibler Konzepte in Bildungseinrichtungen ein.
Dass ökonomisches Handeln psychologisch grundiert ist, gehört zu den stillschweigenden Voraussetzungen moderner Verhaltensökonomie. Gerade im Bereich der privaten Geldanlage zeigt sich, wie eng Entscheidungen mit individuellen Erfahrungswelten, emotionalen Grundhaltungen und biografischen Prägungen verwoben sind. Anlageentscheidungen sind keine bloßen Rechenakte, sondern psychologische Konstellationen, in denen sich Sicherheitsbedürfnis, Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeit bündeln.
Was der eine als kalkulierbares Risiko begreift, wird von der anderen als bedrohlicher Kontrollverlust empfunden. Dieses Spannungsfeld lässt sich nicht allein durch objektive Parameter oder Finanzwissen erklären. Erst der Blick auf die psychische Binnenstruktur – auf innere Antreiber, Ängste und unbewusste Narrative – eröffnet ein differenziertes Verständnis dafür, warum manche Menschen konsequent auf Distanz zum Kapitalmarkt bleiben, während andere ihre Risikobereitschaft bis zur Selbstgefährdung ausreizen.
Bedürfnislagen und die innere Ökonomie des Risikos
Wer langfristig nicht investiert, handelt selten aus reinem Unwissen oder Prinzipientreue, sondern aus einem tief verankerten Wunsch nach Sicherheit. Für manche Menschen ist Geld kein Mittel zur Vermehrung, sondern ein Bollwerk gegen Kontrollverlust. Das Vertrauen in Märkte, in Systeme oder gar in die eigene Urteilskraft ist bei ihnen nicht angelegt – oft aus guten Gründen. Lebensgeschichten, die von Unsicherheit, Verlust oder existenziellen Brüchen geprägt sind, hinterlassen Spuren, die sich auch im Verhältnis zu Vermögen niederschlagen.
Diese Menschen agieren nicht irrational, sondern kohärent mit ihrer inneren Ordnung. Wer gelernt hat, das Unverfügbare zu fürchten, wird kaum freiwillig Risiken eingehen, die unkontrollierbar erscheinen. In solchen Fällen steht das Streben nach Stabilität über dem Wunsch nach Rendite. Investieren bedeutet dann nicht Wachstum, sondern Bedrohung. Entsprechend werden liquide Mittel nicht als Kapital interpretiert, sondern als Sicherheitsreserve – als symbolischer Anker in einem Leben, das andernfalls leicht aus der Balance geraten könnte.
Dem gegenüber stehen jene, für die der Kapitalmarkt nicht nur ein Ort der Rendite, sondern auch der Selbstvergewisserung ist. Wer investiert, um Kontrolle zu demonstrieren – sei es sich selbst oder der Welt –, ist häufig weniger an strategischer Planung als an der emotionalen Aufladung des Tuns interessiert. Hier wird das Investment zum Ausdruck eines inneren Anspruchs, autonom, stark, souverän zu sein. Und je mehr äußere Instabilität erlebt wurde, desto stärker kann dieser Impuls wirken.
Was als entschlossenes Agieren erscheint, ist nicht selten Ausdruck eines subtilen Kompensationsbedarfs. Der Akt des Investierens erfüllt dann eine psychologische Funktion: Er stiftet Bedeutung, suggeriert Handlungsfähigkeit und verleiht dem eigenen Dasein eine Form von Wirksamkeit, die jenseits monetärer Aspekte verankert ist. Doch wo Geld zur Projektionsfläche unverarbeiteter Themen wird, entstehen Verzerrungen – etwa eine verzerrte Risikowahrnehmung oder die Tendenz zur Selbstüberschätzung.
Eigenständigkeit statt Ersatzhandlung – das Ideal der stimmigen Entscheidung
Anlageentscheidungen, die getragen und nicht getrieben sind, folgen keiner äußeren Agenda. Sie entstehen aus einem inneren Gleichgewicht, das weder auf Angst noch auf Geltung zielt. In solchen Fällen ist das Verhältnis zum Geld nicht mit Vorsicht überladen, aber auch nicht durch Machtfantasien überformt. Es ist sachlich, abgeklärt und zugleich sensibel für die eigenen Grenzen. Diese Form der Entscheidung entsteht nicht durch bloße Information oder Schulung. Sie setzt ein gewisses Maß an Selbstkenntnis voraus – die Fähigkeit, zwischen eigenen Bedürfnissen, äußeren Impulsen und inneren Antreibern zu unterscheiden. Menschen, die ihre finanziellen Ziele klar benennen können und zugleich ein Gefühl dafür haben, was ihnen Stabilität gibt, agieren nicht kurzfristig, sondern strukturiert. Sie orientieren sich weniger an Versprechen als an ihrem persönlichen Kompass.
Solange die Diskussion über Finanzbildung vor allem auf Informationsdefizite zielt, verfehlt sie das Zentrum des Problems. Es geht nicht darum, Menschen zu „besseren Anlegern“ zu machen, sondern darum, sie in Kontakt mit den inneren Motiven ihrer Entscheidungen zu bringen. Wer investiert – oder bewusst nicht investiert –, handelt nie im luftleeren Raum. Er folgt einem inneren Skript, das in Beratung, Pädagogik und auch Regulierung stärker berücksichtigt werden müsste.
Investieren ist nicht neutral. Es ist ein zutiefst persönlicher Akt. Und dort, wo Menschen lernen, sich selbst in ihrer Art des Wirtschaftens zu erkennen, entsteht keine Effizienz – sondern Reife.